Literatur im Museum - Schreibwerkstatt mit Matthias Göritz

Am 11. und 12. Januar 2020 im Museum Villa Stuck in München im Rahmen der Ausstellung: "Ist das Mode oder kann das weg? 40 Jahre Vogue Deutschland".

Die Titelfrage bezog sich vor allem auf die letzten Ausstellungssäle, in denen Mode und Installationen aus Altkleidern gezeigt wurden. Hier belegten Zahlen, dass die Modeindustrie weltweit zu denjenigen Zweigen gehört, die die Umwelt am stärksten verschmutzen. Sie belegt Platz 2 in der Liste. Alternative Initiativen wie Upcycling oder das Auffischen und Verwerten von Plastikmüll aus dem Meer waren in Bild und einem Abendkleid- und Jackenmodell zu sehen. 

Was haben Ballettschuhe mit Kristallen zu tun? Der Schaukasten verriet, dass menschlicher Schweiß, der zum Beispiel bei Sporttraining anfällt, auch für neue Forschungswege zur Materialherstellung genutzt wird. Die Glanzseite der Show waren neben ausgefallenen Modellen erwartungsgemäß die Cover aus 40 Erscheinungsjahren, dazu die Fotoplakate, die den unterschiedlichen Stand der Fotografie und des Designs über die Jahre verdeutlichten. Einen Überblick über die wichtigsten Reportagen boten mehrere kleine Räume, die zum Verweilen beim Studieren der Notizbücher mit Interviews z.B. mit dem Dalai Lama oder Ai Weiwei einluden.

Ein nachgebautes Fotostudio war über die gesamte Dauer der Schau Treffpunkt für Besucher, die sich mit dem Enstehen von Artikeln und von Fotostrecken beschäftigen wollten. Dazu gab es auch einen Rückblick und Ausblick in die Arbeitsmethoden eines Modemagazins.

Beim Schreibworkshop lautete anschließend eine der Aufgaben, eine Autobiographie anhand von Kleidungsstücken in Kombination mit zeitgeschichtlichen Ereignissen zu schreiben (Arbeitszeit: 20 Minuten).

Textbeispiele:

Werner Vogt

...
der mittelpunkt der welt

in meinen erinnerungen
ist immer eiszeit,
in meinen träumen
immer tag.

die erde, sagten die alten,
ist eine scheibe.
an ihrem rand
in den abgrund zu schauen
überlebe man nicht.

die sonne wandert
den horizont entlang
im kreis.
das ende meines schattens
sehe ich nicht.

am mittelpunkt der welt
ein bleistift,
tief in die eisdecke gerammt.

ein marterpfahl
für die phantasielosen.

in der ferne. ein eisbär.
kommt näher.

keine nacht in sicht.

Eva Husemann

1955  Hellblaues weiches Strickkleid, - entsorgt -
          Explosion der Mutter aus Wutgeschwüren des Krieges

1962  Kratzstrumpfhose reicht bis zum Kinn,
          - Hineinwachsen ! -

1973  Schafsgeruch im Marrokanischen Bauernkleid,
          - von wegen Frau Doktor ! -
          Willy Brandt wurde auch bespitzelt

1979  Hauchzartes Hochzeitskleid zittert unter Schneefall
          - im Mai -

1983  Er ging mit seiner Sporttasche

1993  Wanderklamotten schwer wie Blei
          - besonders bei Regen -
          gleich 2 Bandscheiben springen raus

2003  Was aus mir geworden ist?
          - eine andere -

2004  Rudy riecht nach Gautier

2020  Tangokleider
          in fester Umarmung
          fremder Männer


Bestandsaufnahme eines kubanischen Wanderrucksackes

Papierlandkarte der Sierra maestra
Mückenspray ( gross)
Minilexikon
Schweißtücher aus Baumwolle
Sonnenbrille
Tabletten gegen Durchfall ( zwei Päckchen)
Bleistifte mit Radiergummi
Notizheft erste Seite
      - el cimarron -
      Lebensgeschichte eines geflohenen
      Negersklaven names
      Esteban Montejo

Johannes Keilholz

Bier aus dem Schlagzeug
 
Bis sich im Saal Schwerelosigkeit einstellt,
Dauert es viele, viele heimliche Blicke,
Die zwischen dunkel und sehr laut
Wechseln
Blitzlicht, Hämmern der Gitarren,
Fließt erstmal Bier aus dem Schlagzeug
Und schmatzt unter den Sohlen,
Drängen sich Körper aus Augen,
Tief unter mir

Regine Baumgärtel

In meinen Erinnerungen ist immer Sommer.
Wir lagen im Straßengraben und machten Piffpaff mit Stöcken.
In den großen Ferien durften wir nochmal zurück in die Heimat.
Mirabellenbäume und Gartenbrombeeren gab es im Westen nicht,
 nicht in der großen grauen Stadt.
 Keine duftenden Thymianpolster und keinen roten Klee zum Aussaugen.
 „Die Kinder von Kapitalisten dürfen hier nicht in die Oberschule.“
Geländespiele auf sonnenheißen Kahlschlägen,
fette Himbeeren, Weidenröschen und gelegentliche Kreuzottern.
Weit in die Wälder hinein.
Vorsicht, militärisches Sperrgebiet.
Wenn ich groß bin, komme ich für immer wieder.
Bis nächstes Jahr.

 Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen.

München, Kurfürstenstraße 47

Wir wohnten zu fünft.
„Macht kaputt, was euch kaputtmacht.“
Wir machen es anders.
Wir werden die Jugendlichen, die in Heimen festgesetzt sind, befreien.
Wir nahmen welche auf.
Die beiden, deren Leber von Drogen schon halb zerfressen war.
Zwei Mädchen, die nur weg wollten. Ausgerissen oder nicht.

Wir – Studenten, Revoluzzer, Anarchisten.
Wir glaubten an das Gute.
Wir glaubten ans Durchfüttern.
Ernst des Lebens.
Eines Tages verschwand die, die in meinem Zimmer wohnte.
Mit meiner weißen Strickjacke, dem einzigen guten Stück, das ich besaß.

 


Ulrike Roos

Ist das Mode oder kann das weg?

Porzellanblumen blühen
auf dem starren Kleid
aus Polyester

Haute Couture
mit dem Skalpell
am schlaffen Lid

40x12 Glanzbilder
faltenfreier Puppenvisagen
Ein menschliches Antlitz

Dalei Lama und Ai Weiwei
Randnotizen
eines Reporters

Andrea Linz-Schlippe

Schnittmuster

1961
Mein Teddymantel
Selbstgenäht von der
Oma, der Schneiderin
Die Fasson erradelt von
Dem metallenen Zacken-
Rädchen.
Viel zu selten getragen
Nur sonn- und feiertags
Dann weiter
Vererbt

1974
Auf dem Flokati-Teppich
Die neue Schallplatte von Leonard Cohen
Ein Paar nackte Füße in grüngelackten
Plateau-Schuhen wippen im Takt

1978
Gar nicht gefällig
Die blaue Latzhose
Aus der Abteilung Arbeitskleidung
Das Studium schreitet voran

1993
Der goldfarbene Blazer
Mit breitem Schulterpolster
Gehalten von zwei Knöpfen
Die Einschulung der Tochter

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