„Ich und Holzkirchen" - Projekt an der Mittelschule Holzkirchen, verschiedene Klassen

„Wer bin ich an dem Ort, an dem ich lebe? Wie beeinflusst mich mein Lebensort? Woher komme ich - familiär betrachtet - und was macht eigentlich alles mein „Ich" aus?“

Die Mittelschule Holzkirchen hat einen, im Vergleich mit Münchner Mittelschulen, geringen Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund. Trotzdem, oder gerade deshalb, gab es auch hier in den vergangenen Jahren Probleme mit rassistischen Äußerungen unter Schülern. Auf der Mittelschule Holzkirchen treffen Kinder aus sozial schwachen Familien auf Kinder mit Flüchtlings – oder Migrationshintergrund, Kinder wohlhabender Agrarwirtschafter auf Kinder aus Harz IV Familien.

Und vor dem Hintergrund ihrer Familiengeschichte definieren die Kinder und Jugendlichen ganz automatisch und teils unreflektiert ihre Rolle in der Gemeinschaft.

Im Projekt „Vielfältig – Ich und Holzkirchen" sollten die Schüler ihre Familiengeschichte näher beleuchten, herausfinden, woher ihre Vorfahren eigentlich kamen und anfangen, ihr „Ich" differenzierter zu ergründen.

Ablauf:

Im Klassenverband fand zuerst für 2 Stunden gemeinsames Spiel statt, Improvisationsübungen, die den Teamgeist und das Vertrauen stärken sollten und mir als Trainerin einen Einblick dahingehend verschafften, ob es offene Konflikte und damit  zusammenhängende Probleme in der Gruppe gab, die ein vertrauensvolles „sich vor der Gruppe präsentieren" verhindert hätten.

Am Ende der Stunde erklärte ich den Schülern mein Vorhaben und bat sie, bis zur kommenden Woche „Ahnenvorschung" zu betreiben, herauszufinden, woher ihre Vorfahren stammen, mit Eltern, Großeltern und anderen Verwandten ins Gespräch zu gehen, Fotos heraus zu suchen etc.

Die Schüler machten sich voller Elan an ihre Aufgabe. Bereits in der kommenden Woche hatten die Schüler eine überwältigende Menge an teils 100 Jahre alten Fotos zutage gefördert, alte Passdokumente ihrer Eltern und Großeltern mitgebracht, Relikte vergangener Zeiten vom Dachboden geholt (mit dabei ein Walk-Man aus den 80er Jahren und das Glasauge eines lange verstorbenen Onkels).

Nun stellten die Schüler nacheinander sich und ihre aktuelle Familiensituation vor, erzählten davon, woher ihre Vorfahren stammten und berichteten von teils für sie erstaunlichen Entdeckungen über ihre Familie:

So brachte eine Schülerin ein Buch mit, in dem ihre Familie professionell Briefe und Dokumente aus der Zeit, als sie in der DDR lebten, zusammengefasst hatte und berichtete spannende Details aus den Leben ihrer Großeltern und Eltern, die sie erfahren hatte.

Eine weitere Schülerin hatte erst im Gespräch mit ihrem Vater, anlässlich des Projektes, erfahren, dass sie eine 20 Jahre ältere Schwester im Ausland hat (die Schülerin war zu dem Zeitpunkt, an dem sie dies erfuhr 16 Jahre alt).

Ein Schüler mit Flüchtlingshintergrund zeigte Bilder aus dem Haus seines Onkels in Syrien, neben dessen Bett an die Wand gelehnt ein Maschinengewehr stand.

Aufmerksam, offen und mit großer Empathie lauschten die Kinder und Jugendlichen den Erzählungen ihrer Mitschüler, auch die begleitenden Klassenlehrer waren sehr erstaunt, was sie alles neues über ihre Schüler lernten, die sie teils seit Jahren kannten.

Nachdem alle Schüler einer Klasse in 2 – 3 Terminen ihre Geschichte vorgestellt hatten, nahmen wir uns Zeit für gemeinsame Reflexion.

Fazit/ Nachhaltigkeit:

Das Projekt „Vielfältig – Ich und Holzkirchen" legte einen weiteren Grundstein für ein offenes, respektvolles und verständnisvolles Miteinander in den teilnehmenden Klassenverbänden der Mittelschule Holzkirchen. Ressentiments konnten aus dem Weg geräumt werden, es wurde ein Bewusstsein geschaffen darüber, dass „anders" oder „fremd", „net von do" (nicht von hier) nicht den Wert eines Menschen beeinflusst, dass auch die „Alteingesessenen" teilweise noch nicht länger als eine Generation vor Ort leben, dass jeder seine Geschichte mit sich bringt und doch jeden Tag selbst neu gestaltet und entscheidet, wer er ist.

Projektzeitraum: Schuljahr 2020/ 21 (Oktober 2020 bis Juli 2021)

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Konzept und Projektleitung: Sophie Hechler, Schauspielerin und Trainerin für Improvisations Theater