Klingendes Bayerisches Nationalmuseum

Ein Fest im Museum

Bei einer Feier anlässlich der abgeschlossenen Projekte „Vielseitig“ und „KUNSTlinie“ wurde Geschichte in mehreren Räumen des Bayerischen Nationalmuseums in München zum Leben erweckt.

Ein Besuch im Museum ist in der Regel eine recht statische Angelegenheit. Wenn jedoch Ulrike Roos von Rosen ihre Finger im Spiel hat, kommt Bewegung in die Ausstellungsräume und deren Exponate. So geschehen am 27. Oktober dieses Jahres, als die Vorsitzende von „Bayern liest“ Unterstützer, Freunde und Mitwirkende ihrer zahlreichen Projekte zum „Fest im Museum“ ins Bayerische Nationalmuseum in München lud. Zur Feier der abgeschlossenen Projekte „Vielseitig“ und „Kunstlinie“, im Rahmen derer die Museumspädagogin „Menschen zueinander und miteinander ins Gespräch gebracht hat“, betonte Dr. Elke Kollar in ihrer Festrede. „In schwierigen Zeiten“, sagte die Direktorin des Museumspädagogischen Zentrums, „ist Ihre Arbeit unverzichtbar.“ Und der Generaldirektor des Museums, Dr. Frank Matthias Kammel, war davon überzeugt: „Projekte wie ‚Vielseitig‚ und ‚ KUNSTlinie’ sind  hier an der richtigen Stelle.“ Beide haben mit Orten der Kunst zu tun, mit Kultur; ‚Vielseitig’ weckt die Neugier, bringt Menschen zusammen und ‚KUNSTlinie‘ ist gelebte Integration. Und ein Blick auf die Gäste und Akteure an diesem Oktobertag zeigt, wie viele Kulturen die Weßlingerin zusammengebracht hat.

Als „aktiven und kreativen Umgang mit Texten“ beschreibt der Verein „Bayern liest“ seine Leseförderprogramme. Aktiv und kreativ beschreibt auch trefflich diesen Freitagvormittag, als die Protagonisten um die pensionierte Kunstlehrerin und orchestriert vom Musikexperten Dr. Gunther Joppig „die Exponate zum Klingen“ brachten, wie Dr. Elke Kollar die monatelang vorbereiteten  Darbietungen in den fünf Epochensälen nannte. Lange vor Beginn der Veranstaltung herrschte in der Umkleide emsiges Treiben. Die Darsteller streiften ihre Alltagskluft ab und schlüpften in epochentypische Kleidung, die Brigitte Günczler originalgetreu genäht hat. Aufeinander abgestimmt waren vom Ende des 18. Jahrhunderts stammenden knöchellangen Gewänder im Blumenmuster von Geigerin Violeta Adamova und Sängerin Karina Zapryanova, denen die Kostümverantwortliche gerade die Haube aufsetzte. Derweil gab Bühnen- und Kostümbildnerin Johanna Berüter der Verkleidung von Tänzerin Eva-Maria Richter und ihrer Partnerinnen für die Darstellung der Träume der Barockskulpturen den letzten Touch. Mit jedem zusätzlichen Teil der Kostüme und jeder Haarnadel, die die Hochsteckfrisuren stabilisierte, rückten die Tänzerinnen der originalgetreuen Menuette näher an das Jahrhundert des Rokoko.

Nur die drei Jugendlichen passten nicht ins Bild, die die Köpfe hinter einem iPad zusammensteckten. Noch nicht, denn sie sollten in Kürze - der damaligen Zeit entsprechend kostümiert - den Ankommenden den Weg weisen. Und die Schüler der ukrainischen Klasse der Mittelschule München am Inzeller Weg boten dabei ein wahrlich schönes Bild. Unter der Anleitung ihrer Lehrerin Duygu Klein  positionierten sie sich mit kleinen Blumensträußen an allen entscheidenden Abzweigungen, den Treppen und den Eingängen. Das Feixen wich einer hoheitsvollen Miene, der lässige Gang einer formellen Verbeugung in gut sitzendem Gehrock und mit einer ehrerbietig auf den Bauch gelegten Hand, während die jungen Damen kichernd dezent ihre bodenlangen Kleider anhoben. „Zurück ins Mittelalter!“ hieß es für die eintrudelnden Gäste – und zwar im positiven Sinn.

Das war die Einstimmung auf einen klingenden und in jeder Hinsicht bewegenden Rundgang durch das Museum mit fünf Stationen. In den Rittersaal, wo blankpolierte Rüstungen mit imposanten Waffen Spalier standen. An der Wand prangte ein Relief von Heinrich dem I. mit einem Falken auf der Hand, davon gehe man zumindest aus, verkündete Michael Bauereiss, der die bunte Menschengruppe durch die Ausstellung führte. Daraufhin versanken die Zuhörer andächtig in das Volkslied „Der Morgenstern“, das Hedwig Rost und Tochter Clara Baesecke mit Cello, Geige und Gesang anstimmten. Was dem folgte, war ein Meisterstück: Schließlich geht das Erlernen der deutschen Sprache mit zahlreichen grammatikalischen Klimmzügen einher, ist somit fast schon eine Zumutung - aber Mittelhochdeutsch ist selbst für Muttersprachler eine Herausforderung. Vorgebracht von den Iranern Saeid und Elnaz sowie der Ukrainerin Nataliia, die Kürenbergs "Ich zog mir einen Falken" lasen, der im  Deutsch des 13. Jahrhunderts zu "Ich zoch mir einen falken“ wurde – und in Zungenbrecher wie "gevidere alrot guldin" gipfelte, die die Lesenden durchaus meisterten. Im Paradiesgärtlein warteten die Heiligen Katharina und Barbara auf die Kulturinteressierten – und der betörende Gesang in Geigenbegleitung vom Musikerduo Adamova und Zapryanova mit "Unter der Linden“ und "Ein Marienlied". Ein Rätsel hatte Bauereiss sich für den dritten Saal ausgedacht. "Raten Sie mal, was das komische Ding ist", fragte er in die Runde und zeigte auf einen Bronzebehälter auf vier Beinen. Nein, Miraculix mischte darin keinen Zaubertrank, in den Obelix einst gefallen sein soll. Es handelte sich um einen Weinkühler aus Neuburg an der Donau, den einst Ottheinrich in der Zeit der Renaissance in Auftrag gab, wie es die Inschrift verriet. Passend zur Epoche trug der Sänger Thilo Himstedt zwei Lieder von John Dowland vor, begleitet von Michele Bonagura an der Laute.

Mit den durch den Lustgarten flanierenden Porzellanfiguren aus der Zeit des Rokoko im nächsten Epochensaal hatten sich die Mittelschüler bereits zeichnerisch auseinandergesetzt. Sie stellten ihre Gemälde jetzt nach, wechselten in ihren malerischen Kostümen auf ein Klatschen von Schauspiellehrerin Sophie Hechler von der tiefen Verbeugung zum geziert durch die Gärten streifenden Paar oder verharrten in der Pose einer Amme, die die Arme herrisch in die Hüfte stemmte. Im Barocksaal übernahm Florian Schwartz die Jugendlichen und begleitete sie am Klavier zu einem Schreittanz zwischen den Exponaten. Nach einem kunstvollen Rokokotanz und dem gelenkigen Ausdruckstanz kehrten die Gäste beglückt in den Mars-Venus-Saal zurück, wo Jörg Baesecke und Hedwig Rost und ihre "Kleinste Bühne der Welt" das Publikum mit dem listigen Franken in Byzanz verzauberten.

Und die Teenager saßen auch noch in ihren Kostümen in den Stuhlreihen, als Thomas Horch an der Posaune und Marije Grevink an der Geige den Festakt schlossen. Erst ganz zum Schluss, als die Menschen wieder auf Münchens Straßen flossen, kehrten sie aus diesem Traum in ihre Welt zurück, in der noch viele die Flucht und die Erlebnisse in ihrer Heimat verarbeiten müssen. Aber die Erinnerung an diese Stunden kann ihnen niemand mehr nehmen.

© Michèle Kirner-Bernoulli (Text & Bilder)

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Entsprechend der früheren Zeiten festlich gekleidet, weisen die Schüler der ukrainischen Klasse der Mittelschule den Besuchern den Weg.
Hedwig Rost und Jörg Baesecke verzaubern mit ihrer "Kleinsten Bühne der Welt" das Publikum.
Zwischen blinkenden Ritterrüstungen und einem mutmaßlichen Relief von Heinrich I. aus Regensburg weiht Kunstexperte Michael Bauereiss die Besucher in ein Stück Kulturgeschichte ein.